Mit der Selbstenttarnung des neonazistischen Terrornetzwerks „Nationalsozialistischer Untergrund“
(NSU) im November 2011 wurde eine Terrorserie offenkundig, die bis dato einmalig in der
bundesrepublikanischen Geschichte ist. Der sogenannte NSU ermordete zwischen 2000 und 2006
neun Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund und 2007 eine Polizistin. Darüber hinaus beging
er 1999 einen Sprengstoffanschlag in Nürnberg, 2001 einen Sprengstoffanschlag in Köln, 2004 ein
Nagelbomben-Attentat und zahlreiche Banküberfalle. Trotz zahlreicher Hinweise und rund 40 VLeuten im direkten Umfeld der Gruppierung ist es den Sicherheitsbehörden und insbesondere den
Verfassungsschutzämtern in Bund und Ländern nicht gelungen, einen neonazistischen Hintergrund
bei den Taten festzustellen. Dies ist nur der Gipfel einer lang anhaltenden Serie von
Fehleinschätzungen und -entscheidungen, die lange Zeit als eine unglückliche Verkettung von
Zufällen erschien.
Bis heute sind die Umstände der Taten nicht lückenlos aufgeklärt. Auch ist die These des autonomen
Täter*innen-Trios, bestehend aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe nicht länger
haltbar. Viel eher ist ein weites Netzwerk an Unterstützer*innen und Mitverschwörer*innen höchst
wahrscheinlich. Des Weiteren lässt das Verhalten der Verfassungsschutzämter -wie das Schreddern
von wichtigen Akten- vermuten, dass die Ämter bereits vor dem Auffliegen des Netzwerks
Informationen über dessen Existenz und deren Verbrechen gehabt haben müssen.
Insbesondere der Kassler Mord an dem Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat hat im Zuge des NSUProzesses in München und dem hessischen Untersuchungsausschusses diese Vermutung
unterstrichen. Die von der damaligen zuständigen Kriminalpolizei recht schnell zusammengetragenen
Hinweise führten sie nicht nur in die nordhessische Nazi-Szene, sondern auch zu Andreas Temme und
widersprechen der Annahme der meist ergebnislos ermittelnden Polizei.
Der sich während der Tat im Hinterzimmer des Café aufgehaltene Verfassungsschützer wurde
zurecht als Tatverdächtiger vernommen. Das LfV unterband die Ermittlungen und erhielt dabei
Rückendeckung direkt aus dem Ministersessel des Innenministeriums.
Das Ausmaß ist erschreckend und die durch die Anwälte der Opferfamilien neu-enthüllten
Abhörprotokolle lassen eine Mittäterschaft oder zumindest eine Duldung des Mordes durch
Geheimdienstkreise nicht mehr ausschließen. So kann auch das damalige Verhalten von Volker
Bouffier neu gedeutet werden, der wegen der Tragweite des Skandals kurzerhand Maulkörbe an alle
Beteiligten V-Leute verteilte und Andreas Temme in einen bezahlten Dienst-Urlaub schickte,
vermutlich um gewichtige Staatsziele zu schützen. Der Preis ist das Vertrauen in unseren
Sicherheitsapparat, das nachhaltig beschädigt wurde.
Daher fordern wir Jusos:
Landespolitische Maßnahmen
 Die Auflösung des hessischen Verfassungsschutzes und Eingliederung der Behörde als
Abteilung in das Innenministerium (Thüringer Modell). Die politische Verantwortung muss
enger beim Innenministerium liegen, damit die direkte Kontrolle des Landtages gewährleistet
ist.
 Die Ausweitung der Mitglieder des parlamentarischen Kontrollgremiums des Landtages. Den
Mitgliedern werden ferner weitere Fraktionsassistent*innen gestellt, um eine bessere
Auswertung und waffengleiche Arbeit gegenüber der kontrollierenden Abteilung sicher zu
stellen.
 Die Abschaffung der V-Leute-Praxis beim Landesamt für Verfassungsschutz.
Weitere Maßnahmen
Die SPD Bundestagsfraktion wird aufgefordert, sich für einen weiteren Untersuchungsausschuss auf
Bundeseben einzusetzen.
Wir fordern die SPD-Landtagsfraktion auf, ein Misstrauensvotum gegen den Ministerpräsidenten
einzuleiten. Wer politische Opportunität derart vor die Sicherheit aller Hess*innen stellt, hat nicht
nur in der Staatskanzlei nichts mehr verloren, er muss auch öffentlich konsequent vorgeführt
werden.