Politische Handlungsfelder und Lösungspotenziale
1. Vereinbarkeit von Familie, Beruf, Pflege und Ehrenamt verbessern
Im Fortschrittsbericht 2013 zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung wird dargelegt, dass mehr
als die Hälfte der nicht berufstätigen Mütter gerne arbeiten würden, dies aber vor allem aufgrund
fehlender Angebote der Kinderbetreuung und unflexibler Arbeitszeiten nicht tun. Zudem führt die in
der Regel ungleich verteilte Arbeit zwischen den beiden Elternteilen dazu, dass sich viele Väter
wünschen, weniger zu arbeiten, während Mütter in Teilzeit hingegen häufig gerne mehr arbeiten
wollen würden. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, die die stärkere Integration von Müttern ins
Erwerbsleben ermöglicht. Angesichts der Tatsache, dass Frauen mit Kindern unter sechs Jahren nach
Angaben des achten Familienberichts im Durchschnitt 32 Stunden in der Woche arbeiten wollen,
erscheint der Vorschlag der Einführung einer 32-Stunden-Woche der Familienministerin Manuela
Schwesig mehr als sinnvoll. Beide Elternteile könnten dann 32 Stunden in der Woche arbeiten, was
sowohl den Wünschen von Vätern, die durchschnittlich weniger arbeiten wollen, als auch von
Müttern, die durchschnittlich mehr arbeiten wollen, entgegen kommt. Da heutzutage im Normalfall
ein Elternteil in Vollzeit und ein Elternteil in Teilzeit arbeitet, würde dies zu einer Erhöhung des
Arbeitsvolumens der im Markt aktiven Eltern führen, was angesichts des demografischen Wandels
nur begrüßenswert sein kann. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch weitreichender zu
fördern, muss es zukünftig einen rechtlichen Anspruch auf Ganztagskitas und Ganztagsschulen
geben, welche nebenbei eine bessere Förderung aller Kinder, unabhängig von ihrer sozialen
Herkunft, ermöglichen. Zu einer modernen und zukunftsorientierten Familienpolitik gehört auch die
Abschaffung des Betreuungsgeldes, wodurch völlig falsche Anreize gesetzt werden und eine
frühkindliche Förderung verhindert wird. Die hierfür verwendeten Mittel sollten stattdessen in den
Ausbau von Ganztagsangeboten für Kitas und Schulen investiert werden.
Neben dem Beruf, der Familie und sonstige Tätigkeiten werden mehr Menschen mehr Zeit in die
Pflege älterer Familienangehörigen investieren müssen. Aufgrund der gesunkenen Familiengrößen
ist die Pflege von Angehörigen oftmals nur noch auf wenige Personen beschränkt. Hinzu kommt, dass
ältere Menschen immer später ins Pflegeheim kommen und dort im Durchschnitt weniger als ein Jahr
verbringen. Aufgrund dieser Entwicklungen und da über zwei Drittel aller Pflegebedürftigen heute zu
Hause versorgt werden, können neben Kindern auch ältere Familienangehörige als ernst
zunehmendes Karrierehindernis angesehen werden.
Da vielerorts die Einwohner*innenzahlen sinken oder noch sinken werden, verringern sich dadurch
auch die Einnahmen in die Gemeindekassen. Viele kommunale Aufgaben können daher oftmals nur
noch durch ehrenamtlich engagierte Bürger*innen aufrechterhalten werden. Durch den
demografischen Wandel muss eine stärkere Förderung des Ehrenamtes als unausweichlich
betrachtet werden. Auch wenn sich in Deutschland knapp 23 Millionen Menschen ehrenamtlich
engagieren, ist das Potenzial längst nicht ausgeschöpft. Jede*r vierte nicht engagierte Bürger*in
könnte sich laut einer Studie des Allensbach-Instituts für Demoskopie im Auftrag der
Bundesregierung vorstellen, sich freiwillig zu engagieren. Die meisten würden von einer
Freiwilligentätigkeit aufgrund von beruflichen Verpflichtungen Abstand nehmen.
Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege müssen also auch im
Kontext der Vereinbarkeit mit dem Ehrenamt betrachtet werden, da dieses für die Kommunen
überlebenswichtig ist und daher unterstützt werden muss. Neben den bereits genannten
Forderungen müssen wir uns überlegen, wie das Ehrenamt attraktiver gestaltet werden kann und uns
unter anderem für die Abschaffung des achtjährigen Gymnasiums und für eine stärkere Würdigung
des Ehrenamtes einsetzen.
2. Lebenslanges Lernen fördern
Durch den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Wandel wird heutzutage von
allen Menschen ein hohes Maß an Lernbereitschaft und Lernfähigkeit gefordert. Wer hier nicht
mitziehen kann, gehört zu den sogenannten Modernisierungsverlierer*innen. Zudem verändert sich
durch unsere alternde Bevölkerung die Altersstruktur von den Belegschaften der Unternehmen.
Alleine durch die Einstellung jüngeren Nachwuchses werden sich die Belegschaften nicht hinreichend
weiterentwickeln können, wodurch lebenslanges Lernen ohnehin eine größere Rolle spielen wird als
gegenwärtig. Als Jusos muss es uns aber, abgesehen von den genannten Gründen, ein Anliegen sein,
ein Recht auf Weiterbildung zu fordern, um allen Menschen lebenslang eine gesellschaftliche
Teilhabe zu gewährleisten, unabhängig vom sozialen Hintergrund, der Weltanschauung oder einer
bestehenden Einschränkung.
3. Integratives Schulsystem und jahrgangsübergreifendes Lernen – jetzt erst recht
Auch die Schüler*innenzahlen werden sinken, weshalb sich unser Bildungssystem dem
demografischen Wandel gezwungenermaßen anpassen muss. Bereits heute können nicht mehr alle
Kinder eine wohnortnahe Schule besuchen. Betroffen sind hierbei in erster Linie viele ländliche
Regionen, bei denen der Trend zur Abwanderung besonders ausgeprägt ist. Etliche Kommunen
werden also über geeignete Maßnahmen nachdenken müssen, um z.B. Schulschließungen entgehen
zu können. Wir müssen uns daher auch weiterhin für ein integratives Schulsystem einsetzen, in dem
alle Schüler*innen gemeinsam unterrichtet werden können. Das gegliederte Schulsystem gilt es also
nicht nur aufgrund der Tatsache abzulehnen, dass es Chancen verbaut und dadurch sozial ungerecht
ist, sondern auch, weil es im Gegenteil zu einem integrativen Schulsystem in Bezug auf den
demografischen Wandel schlichtweg dazu führt, dass immer mehr Kinder nicht wohnortnah zur
Schule gehen können. Außerdem müssen wir uns in Zukunft noch verstärkt für
jahrgangsübergreifendes Lernen in Kitas und Schulen einsetzen, da hierdurch ebenfalls als positiver
Nebeneffekt dazu beigetragen wird, dass auch bei niedriger Siedlungsdichte ein wohnortnahes Kitabzw. Schulangebot vorhanden ist.
4. Integration vorantreiben und Maßnahmen zur Schaffung gleicher Perspektiven ergreifen
Das Bildungssystem gilt es nicht nur im Hinblick der sinkenden Schüler*innenzahlen zu betrachten,
sondern auch hinsichtlich unserer immer vielfältiger werdenden Gesellschaft. Ein integratives
Schulsystem, das größtmögliche Chancengleichheit für alle ermöglicht, muss das Ziel als Reaktion auf
eine sich verändernde Bevölkerungsstruktur sein, in der wir es uns nicht erlauben dürfen, Potenziale
ungenutzt zu lassen. Das vorherrschende selektierende Schulsystem muss der Vergangenheit
angehören, denn nicht die veränderte Schüler*innenschaft sollte sich dem Schulsystem anpassen
müssen, sondern das Schulsystem der Heterogenität jedes einzelnen Kindes. Ein Schulsystem, in dem
nicht alle Schüler*innen die gleichen Perspektiven erhalten, wird angesichts unserer
Bevölkerungsentwicklung zu fatalen Folgen führen.
Da der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund absolut und prozentual steigt, muss der
Integrationspolitik eine zentrale Rolle bei der Bewältigung des demografischen Wandels zukommen
und Migration endlich als Chance begriffen werden. Hierbei sollte nicht im Vordergrund stehen,
besonders qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland abzuwerben und anderen die Türen zu
verschließen, da in den Herkunftsländern der Verlust an Humankapital zu verheerenden Folgen für
die Wirtschaft sowie das Bildungs- und Gesundheitssystem führt. Ohne Landwirtschaftsexpert*innen,
Biolog*innen, Igeneur*innen, Wissenschaftler*innen und IT-Fachleuten ist es unmöglich, bessere
Lebensbedingungen zu schaffen. Mit den klugen Köpfen, die das Land verlassen, geht auch die
Kreativität und das größte Entwicklungspotenzial der Herkunftsstaaten verloren. Von einer
unsolidarischen Einwanderungspolitik, die Deutschland bewusst einen Vorteil auf Kosten anderer zu
verschaffen versucht, wie es in Teilen auch in einem Punktesystem der Fall wäre, lehnen wir daher
klar ab.
Stattdessen müssen wir die Förderung aller und erfolgreiche Integration in den Vordergrund rücken.
Angebote zur kostenlosen Sprachförderungen in jedem Alter, kostenlose Kitas, Ganztagsangebote an
Kitas und Schulen, flexiblere Arbeitszeiten oder die Erleichterung des Zugangs zu finanziellen
Unterstützungen wie Bafög und Berufsausbildungsbeihilfen sind nur einige zu treffende
Vorkehrungen, die zu einer besseren Integration beitragen würden. Wenn wir diese Maßnahmen
nicht ergreifen, wird uns das früher oder später zwangsläufig teuer zu stehen kommen.
5. Stadt und Land zusammendenken – für eine sozial gerechte Regionalentwicklung
Aufgrund einer älter, bunter und schrumpfen werdenden Gesamtbevölkerung kombiniert mit einer
immer größeren Abwanderung der Landbevölkerung in Richtung Oberzentren, gilt es das kommunale
Miteinander, die Arbeit der Kommunen zusammen und Hand in Hand mit den Bürger*innen, zu
fördern. Interkommunale Zusammenarbeit ist dabei für eine effiziente und bürgernahe Verwaltung
wichtig. Unterlegt werden muss diese jedoch durch eine Regionalplanung aus einem Guss. Die
Gremien, die Regionalversammlungen Südhessen und Rhein-Neckar, gibt es dafür bereits. Doch allzu
oft verkommen diese durch mangelnde demokratische Legitimation (Wahlen finden nicht statt) und
ihre Zusammensetzung als Ansammlung von hauptamtlichen Kommunalpolitiker*Innen als
Verwaltungs- und nicht als Gestaltungseinheit.
Nachhaltige Regionalentwicklung ist immer auch sozial gerechte Regionalentwicklung. Die
Entwicklung in Hessen lässt diesen Ansatz jedoch aktuell vermissen. In den Oberzentren herrscht
insbesondere für den sozialen und den studentischen Wohnungsbau ein akuter Wohnraummangel.
Im Umland dieser Großstädte sind ähnliche Probleme zu verzeichnen: Die kommunalfeindliche Politik
der Landesregierung führt zu Grundsteuererhöhungen, dem Druck Wohnraum zum Kauf und nicht
zur Miete zu schaffen und zur Einstellungen von ÖPNV-Verbindungen in der Fläche und der
Vernachlässigung des notwendigen Ausbaus hin zu den Oberzentren. Dies führt zu einer paradoxen
Situation: Insbesondere junge Menschen, die sich für Ausbildung und Studium in die
wirtschaftsstarken Oberzentren orientieren, finden in diesen Städten keinen Wohnraum, weil Effekte
wie Gentrifizierung politisch dort gewollt sind. Im Umland, wo prinzipiell Raum für entsprechende
Baupolitik verfügbar wäre, können sie nicht niederlassen, weil diese entsprechenden Wohnraum
nicht vorhalten können. Diese Paradoxie hat im Wesentlichen folgende Ursachen:
1. Die kommunalfeindliche Politik der hessischen Landesregierung mit ihren
zwangsverordneten Grundsteuererhöhungen und dem stärker werdenden Druck,
kommunalen Besitz an private Investoren zu veräußern.
2. Fehlender Wille zum öffentlich geförderten Wohnungsbau mit Preisbindung einschließlich
des Wegfalls der Fehlbelegungsabgabe für nicht korrekt vergebene Sozialwohnungen.
3. Der fehlende Wille der Landesregierung, neuen Wohnraum mit Preisbindung zu schaffen
(Rückgang von 60.000 Sozialwohnungen zwischen 1999 und 2013).
4. Die Unterfinanzierung der Kommunen. Diese führte neben zahlreichen anderen Effekten zum
Druck, Baugebiete schnell abverkaufen zu wollen und sich im Streben nach einer Steigerung
der Einkommenssteuerzuweisung, auf die Zielgruppe der jungen Familien auf der Suche nach
Kaufwohnraum zu verengen. So konnten nicht alle Bedürfnisse verschiedener sozialer
Gruppen in der Städteplanung verwirklicht werden. Die zwangsveordneten
Grundsteuererhöhungen sowie die mehrfache Erhöhung der Grunderwerbssteuers durch das
Land führten ebenso zu einem Preisdruck auf Immobilien.
5. Wir fordern eine Reform der Finanzierung der Kommunen in der Steuerzerlegung. Statt auf
die konjunktur- und demografieabhängigen Faktoren der Gewerbe- und der
Einkommenssteuer sollen planbare und verlässliche Grundlagen geschaffen werden.
Städtische kommunale Entwicklung und diejenige in der Fläche müssen zusammengedacht werden,
wenn eine einheitliche Entwicklung beider Siedlungsarten, die für Hessen gleichrangig
charakteristisch sind, gelingen soll.
Daher fordert die Bezirkskonferenz der Jusos Hessen-Süd:
1. Die Einführung einer flächendeckenden Mietpreisbremse anstelle der aktuell auf besondere
Hotspots beschränkten Regelung.
2. Eine Offensive im sozialen Wohnungsbau im gesplitteten System (d.h. mithilfe einer lokalen
Baugenossenschaft) mit einer Prüfung steuerlicher Vergünstigung für den geförderten
Wohnungsbau (Analog zum Sozialtarif bei Bauplatzverkauf an Privatpersonen) bei
Grunderwerbssteuer und Grundsteuer.
3. Eine bessere kommunale Finanzausstattung sowie die Beendigung des Eingriffs in die
Steuerhoheit der Kommunen bei der Grundsteuer.
4. Gesetzliche Regulierung und Erschwerung der Umwidmung von Mietwohnraum in Eigentum.
5. Schaffung von Anreizen für die Schaffung von Baugebeiten mit sozialem Wohnungsbau und
der Zur-Verfügung-Stellung von Mietwohnraum.
6. Nach Vorbild oder in Zusammenarbeit mit der KGSt (Kommunale Gemeinschaftsstelle für
Verwaltungsmanagement) und dem hessischen kikz (Kompetenzzentrum für
interkommunale Zusammenarbeit) sollte eine Landesstelle zur Beratung der Kommunen
errichtet werden, die Modelle wie Bürgerkommune, nachhaltige Kommune, soziale oder
zukunftsfähige Kommune an die Kreise und Gemeinden heranträgt und diese somit auch
strukturell zukunftsfähig macht.
6. Regionalentwicklung forcieren
Kreise und Gemeinden erlangen ohne die Infrastruktur der Metropolen oder Metropolregionen keine
Attraktivität. Doch auch die Städte sind letztlich auf die Kommunen angewiesen, um den immer
größeren Zustrom in ihre Richtung abzufedern.
Dies kann nur durch eine gute infrastrukturelle Vernetzung von Städten und Kreisen erfolgen. Hieran
gilt es zu arbeiten und gerade den öffentlichen Nah- und Schienenverkehr in Richtung ländliche
Region auszubauen.
Soll eine Überflutung der Städte verhindert und in den ländlichen Regionen ein demographischer
GAU ebenso abwendet werden, dürfen sich beide nicht als Kontrahenten sehen, sondern als
Mitspieler, die voneinander abhängig sind.
Zusammen müssen Wege der Finanzierung eines Ausbaus des öffentlichen Personennahverkehrs
erörtert werden, mit der gerade auch ländliche Regionen massiv zu kämpfen haben.
Gerade aber der ländliche Raum ist abhängig von attraktiven Anbindungen in die Städte.
Will man die Jugend auf dem Land nicht gänzlich verlieren, so muss auch über Taktzeiten in den
nächtlichen Stunden des Wochenendes nachgedacht werden.
7. Aufgreifen der Gefahr einer Generation der Altersarmut
Durch die schon angesprochenen Gegebenheit einer immer älter werdenden Gesellschaft sowie der
sich stetig dem Rentenalter nähernden Generation der Babyboomer*innen muss neben anderen
Staaten auch Deutschland eine adäquate Lösung zur nachhaltigen Sicherung der Sozialsysteme
finden. Werden die im Antragstext genannten Zahlen auf derzeitige Rentenprognosen übertragen, so
zeigt sich, dass im Jahr 2060 mehr als doppelt so viele Rentenempfänger*innen von einer identischen
Anzahl an Beitragszahler*innen über unser derzeit umlagefinanziertes Rentensystem unterstützt
werden müssen, welches schon jetzt aufgrund nicht ausreichender Beitragszahlungen durch einen
zweistelligen Prozentsatz aus Steuergeldern quersubventioniert wird. Das Aufgreifen einer solch
bedeutungsvollen Problematik darf insbesondere nicht politischen Machtkämpfen zum Opfer fallen
sondern sollte getragen von der Sozialdemokratie Einzug in die aktuelle politische Debatte finden.
Hierzu sollen vier Lösungsvorschläge aufgezeigt werden, welche jeweils für sich genommen einen
kleinen Beitrag zur Stabilisation unseres Rentensystems leisten können.
1. Migration: Es muss klar werden, dass insbesondere vor dem Hintergrund einer europaweit
ähnlichen Altersstruktur Einwanderung alleine das auf uns zu kommende Rentenproblem
nicht lösen kann. Nichtsdestotrotz kann unter bestimmten Bedingungen Migration ein Faktor
von vielen sein, durch welchen eine kommende Altersarmut abgewendet werden kann.
Insbesondere mit Blick auf junge Immigrant*innen wird auf langfristige Sicht Bildung der
Schlüssel zum Erfolg sein. Die Bertelsmann Stiftung zeigte innerhalb ihrer Studie zur
Einwanderung auf, dass durch weitreichende Investitionsprojekte ein Multiplikatoreffekt
geschaffen werden kann, der neben langfristig verbesserten Bildungschancen und damit
einhergehend einer Steigerung der Lebensqualität immigrierter Menschen insbesondere
einen positiven Effekt auf die zukünftige Kapitalisierung der Rentenkassen haben wird.
2. Steuergerechtigkeit: Wie bereits adressiert wird die Rentenkasse bereits heute aus
Steuergeldern quersubventioniert. Da es selbst mit den oben genannten Lösungsvorschlägen
vor dem Hintergrund des demographischen Wandels unwahrscheinlich erscheint, diese
Subvention vollständigen zu ersetzen, so muss über die Finanzierung der so abgezogenen
Steuermittel nachgedacht werden. Das Stichwort Vermögenssteuer sowie die Erhöhung des
Spitzensteuersatzes stellen in diesem Zusammenhang die entscheidenden Komponenten dar.
Auch wenn das nominale Steueraufkommen derzeit neue Höchststände erreicht, so ist es in
den letzten zwei Jahrzehnten real sowie in Relation zur Steigerung des
Bruttoinlandsproduktes eher gesunken denn gestiegen. Insbesondere vor dem Hintergrund
einer drohenden Altersarmut darf eine punktuelle Steuererhöhung kein Tabu sein.
3. Flexibilisierung des Renteneintrittsalters: Innerhalb der letzten Monate wurde durch
Arbeitsministerin Andrea Nahles und der breiten Zustimmung der SPD die abschlagsfreie
Rente mit 63 im deutschen Bundestag verabschiedet. Diese dient insbesondere
Berufsgruppen, in welchen es mit zunehmendem Alter aufgrund körperlicher Gegebenheiten
schwieriger bis unzumutbar wird die eigentliche Arbeit zu verrichten, da im Vergleich zu
anderen Berufsfeldern aufgrund der gewählten Arbeitstätigkeit verschiedenartige
gesundheitliche und körperliche Entwicklungen festzustellen sind. Dies ist zwar richtig,
jedoch kann diese Argumentation ebenfalls für ein Plädoyer bezüglich einer Flexibilisierung
des Renteneintrittsalters verwandt werden. Gerade in geistigen Berufsfeldern wie der
Wissenschaft, finden sich häufig Personen wider, die im eigentlichen Renteneintrittsalter
weiterhin dem Arbeitsmarkt erhalten bleiben möchten. Es bietet sich daher an, dass eine
rechtliche Grundlage für die Flexibilisierung des Renteneintrittsalters geschaffen wird.
Gerade vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, sollten Bürgerinnen und Bürger
die Möglichkeit erhalten, auch nach dem eigentlichen Renteneintritt frei über ihr
Arbeitsleben zu entscheiden. Dahingehend können verschiedene Anreizsysteme für
Unternehmungen geschaffen werden. Beispielsweise könnte das Erlassen des
Arbeitgeberanteils der Rentenversicherungsbeiträge oder auch das vermehrte Einsetzen von
Zeitverträgen im hohen Alter Unternehmungen verstärkt motivieren, Arbeitnehmer auf
deren Wunsch auch nach dem 67 Lebensjahr weiter zu beschäftigen.
4. Bürgerversicherung: Gerade im Sinne der Altersvorsorge muss darauf hingearbeitet werden,
dass unabhängig des bestehenden Arbeitsverhältnisses Bürgerinnen und Bürger in die
gleiche gesetzliche Rentenversicherung einzahlen und damit gegen selbige ihre
Rentenansprüche entstehen lassen. Ein System in dem Beamte in andere Kassen einzahlen
als deren nicht verbeamtete Kollegen führt nicht nur zu Unkollegialität sondern gefährdet
insbesondere auch die nachhaltige Finanzierung der Rentenkassen. Ebenfalls ist die
Freistellung von Selbstständigen sowie Kleinstunternehmern von der gesetzlichen
Rentenversicherung zu hinterfragen. Oftmals fehlt hier das Bewusstsein sowie die
Bereitschaft für das Alter vorzusorgen, was zu einer typischen „Moral Hazard“ Problematik
führt. Auch hier ist eine Eingliederung in das umlagefinanzierte Rentensystem zu begrüßen.
Begründung:
Unsere Bevölkerung wird schrumpfen. Bis 2060 werden in Deutschland nur noch 70 Millionen
Menschen leben. Doch nicht alle Bevölkerungsgruppen schrumpfen zahlenmäßig. Wir werden dank
besserer Lebensbedingungen und des medizinischen Fortschritts nicht nur immer älter, sondern auch
immer gesünder, sodass es 2060 fast doppelt so viele 60 Jährige geben wird wie heute. Allein diese
Zahlen sollten uns verdeutlichen, dass kaum ein anderes gesellschaftspolitisches Handlungsfeld unser
Leben so nachhaltig beeinflussen wird wie das Thema Bevölkerungsentwicklung. Unsere
Bevölkerungsstruktur wird sich also stark verändern. Wir werden aber nicht nur älter und gleichzeitig
weniger sein als heute, unsere Gesellschaft wird auch vielseitiger werden. Um den demographischen
Wandel zu verhindern, ist es bereits zu spät. Diese Veränderungen sind irreversibel und werden in
unserer Gesellschaft immer mehr spürbar.
Es wird unsere Aufgabe sein, den demographischen Wandel zu gestalten und kreative Lösungen zu
finden.
Ursachen und Problemfelder
Zu wenige Kinder werden geboren
Als erste Ursache ist die seit vielen Jahren konstant niedrige Geburtenrate zu nennen, die zwischen
1965 und 1980 rapide gesunken ist. Seitdem bleibt jene zwar weitestgehend stabil, da aber die
Kohorten potenzieller Eltern immer kleiner werden, gibt es bei konstant bleibender Geburtenrate
immer weniger Neugeborene. 2013 wurden in Deutschland nach Angaben des Statistischen
Bundesamts 682.069 Kinder lebend geboren, was etwa 1,41 Kindern pro Frau entspricht. Zum
Vergleich: 1964 war die Zahl der Lebendgeborenen mit 1.357.304 fast doppelt so hoch.
Anstieg der Lebenserwartung und alternde Babyboomer*innen
Hier kommen wir zu den nächsten zwei Ursachen: Wir werden immer älter und die zwischen 1955
und 1969 geborene Kohorten der Babyboomer*innen erreichen ab 2020 das Rentenalter und
scheiden somit aus dem Erwerbsleben aus. In Zukunft wird sich das Verhältnis zwischen den
Altersgruppen noch weiter verschieben. Wie bereiten wir unsere sozialen Sicherungssysteme – Rente,
Pflege, Gesundheit – darauf vor? Wenn 2060 jede*r Dritte älter als 65 sein wird, wie reagieren wir
dann z.B. auf den steigenden Bedarf an stationären Pflegeeinrichtungen? Wer wird sich um die
Pflegebedürftigen kümmern, wenn unsere Bevölkerung altert und gleichzeitig schrumpft?
Herausforderung Integration und ungenutzte Potenziale
Ende 2013 wurden in Deutschland über 7,6 Millionen Menschen mit ausländischer
Staatsangehörigkeit erfasst, 16,5 Millionen Menschen hatten einen Migrationshintergrund – 2005 lag
die Zahl noch bei 14,8 Millionen. Ein weiteres Merkmal unserer Bevölkerung ist also, dass sie bunter
wird. Das bedeutet, dass sie ethnisch, kulturell und religiös vielfältiger werden wird. Zu Zeiten von
Pegida, HoGeSa und Co. sollte erwähnt werden, dass gerade jetzt Zuwanderung als eine
Bereicherung unserer Gesellschaft zu verstehen sein muss. Angesichts des zukünftigen
Fachkräftebedarfs sollte es eigentlich ein Grund zur Freude sein, dass wir 2014 die größte
Zuwanderung seit 22 Jahren verzeichnen konnten. Allerdings erfordert Zuwanderung eine
langfristige, aktive und effektive Integration. Die Weichen hierfür müssen schon im Kindesalter
gestellt werden. Doch wie wir wissen, hängt der Bildungserfolg in Deutschland stark vom sozialen
Hintergrund ab. Solange Kitas nicht gebührenfrei sind, Angebote zur kostenlosen Sprachförderung
nicht ausreichend vorhanden sind und das Schulsystem weiterhin Chancen verbaut werden auch
zukünftig Kinder mit Migrationshintergrund niedrigere Bildungsabschlüsse erzielen. Als Folge
verringern sich die Chancen auf einen Ausbildungsplatz, wodurch sich die Arbeitsmarktchancen und
die Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe verringern. Über 47.600 Jugendliche haben einer CaritasStudie zufolge 2012 die Schule ohne einen Abschluss verlassen. Diesen Luxus leisten wir uns, obwohl
wir angesichts des demografischen Wandels auf keine jungen Arbeitskräfte mehr verzichten dürfen.
Kinder als Karrierehindernis
Im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten verzichten immer mehr Frauen auf Nachwuchs. Zu oft
werden Kinder als ein Karrierehindernis angesehen, sodass die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und
persönlichen Interessen oftmals nicht möglich erscheint. Viele Frauen wollen zudem erst ihre
Ausbildung oder ihr Studium erfolgreich beenden und Berufserfahrung sammeln, bevor sie eine
Familie gründen. Vor allem dann aber, wenn Frauen durch die lange Ausbildung hoch qualifiziert und
bereit für den optimalen Berufseinstieg sind, stellt die Elternschaft ein Risiko für die perfekt
vorbereitete Karriere dar. Kein Wunder, dass jede dritte Akademikerin kinderlos bleibt, obwohl bei
den meisten der Kinderwunsch vorhanden ist.
Kommunale Herausforderungen
Der demografische Wandel wird vor allem dort gestaltet werden müssen, wo dessen Auswirkungen
am spürbarsten werden: Bei den Kommunen. Viele Kommunen stehen bereits heute vor einer
tiefgreifenden Veränderung ihrer Bevölkerungsstruktur. Die Einwohner*innenanzahl nimmt ab und
der Anteil älterer Menschen steigt. Wie intensiv sich der demografische Wandel in den einzelnen
Kommunen auswirken wird, hängt von den Arbeitsmöglichkeiten, Lebensbedingungen und der
Standortqualität ab. So werden einige Kommunen schrumpfen und vor ernsthafte
Herausforderungen gestellt, während andere weiterhin wachsen werden. Die Bertelsmann Stiftung
geht davon aus, dass die Bevölkerungszahl bereits 2020 bei rund 50% aller Kommunen rückläufig sein
wird. Der Wettstreit zwischen Kommunen und Regionen um Einwohner wird sich daher noch
verschärfen. Weiterhin zeigen Ergebnisse einer Studie der Bertelsmann Stiftung, dass vor allem
große Städte wie Hamburg, München oder Leipzig wachsen und die Bevölkerungszahl in ländlichen
Regionen – ganz extrem in vielen Gebieten Ostdeutschlands – schrumpft. Denn während es immer
mehr Menschen in Metropolregionen zieht, wird es auf dem Land immer leerer. In zahlreichen
Regionen kommt es folglich zu einem Überangebot an freien Wohnungen und damit zu einem
Preisverfall der Immobilien. Ebenso entstehen Leerstände –sowohl Gewerbe als auch Wohnungen in
privatem Besitz in einst florierenden Innenstädten. Plätze der Kommunikation und des Miteinanders
gehen verloren. Im Umkehrschluss sorgen rückläufige Bevölkerungszahlen dafür, dass die
Nahversorgung leidet: Supermärkte verlangen zur Ansiedlung eines Marktes 3000 Einwohner im
Umkreis von einem Kilometer. Diese Zahl wird insbesondere in Ortsteilen von Gemeinden im
ländlichen Raum nicht mehr ohne Weiteres erfüllt werden. Den Metropolen beschert die Landflucht
hingegen Wohnungsnot und teure Mietpreise.
Für die Stadtentwicklung in den Mittel- und Unterzentren wird sich eine tiefgreifende Veränderung
einstellen: Konnte der Bauwille der Bürger in den Oberzentren zuletzt kaum befriedigt werden und
setzte insbesondere für junge Familien, ein Abstrom in Richtung Peripherie ein, wird sich dies
grundlegend ändern. Konkret: Wurden früher „Junge Familien“ als Zielgruppe für Bauland am
Stadtrand entdeckt und angeworben, wird dies schwerer, wenn Konversion einerseits in den
Oberzentren Bauland schafft und andererseits weniger dieser Familien anwesend sind.
Nachverdichtung muss an erster Stelle stehen, Innenentwicklung vor Außenentwicklung stehen,
wenn die Ortskerne nicht weiter veröden sollen.
Eine weitere Herausforderung, die alle Kommunen betreffen wird, ist der Umgang mit einer
alternden Bevölkerung. Denn: Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko auf Pflege angewiesen zu
sein. Aufgrund unserer Bevölkerungsentwicklung werden immer mehr Menschen pflegebedürftig,
während die Zahl an Pflegekräften sinkt, solange sich das Ansehen, die Arbeitsbedingungen und die
Bezahlung der Pflegekräfte nicht ändert. Hier gibt es also dringenden Handlungsbedarf, um nicht in
eine Pflegenotstandssituation zu geraten. Gleiches gilt für die wichtige ärztliche Versorgung: Das
Interesse von jungen Ärzte auf dem Land tätig zu werden sinkt auch in Folge von geringeren zu
erwartenden Einnahmen. Hier muss die öffentliche Hand, beispielsweise durch in kommunaler
Trägerschaft eingestelltem Fachpersonal handeln.
Gerade für kleine Kommunen ist das Ehrenamt nahezu überlebenswichtig. Der vielverbreitete
Mitgliederschwund bei freiwilligen Feuerwehren, Vereinen und weiteren ehrenamtlichen Strukturen
bereitet vielerorts ernsthafte Probleme, die durch den demografischen Wandel nicht leichter zu
lösen sein werden. Interessant ist auch, dass Schüler*innen am achtjährigen Gymnasium hinsichtlich
ihres Engagements weniger aktiv sind. Ein weiterer Grund dafür, warum wir uns nach wie vor für eine
flexible Oberstufe einsetzen müssen, wenn Schüler*innen ein zu schwieriges Zeitmanagement
besitzen, um ihren vorhanden Willen zum Engagement ausleben zu können. Hier müssen Lösungen
geschaffen werden, die Vereinen die Möglichkeit des Erhalts ihrer Infrastruktur ermöglichen und
deren Beitrag zum Gemeinwesen sichern. Ehrenamtsbörsen, die eine projektbezogene Mitarbeit
vermitteln können das Potential zum gelegentlichen Engagement aufgreifen.